Unter öffentlicher Beobachtung

Neue Hochbahnsteige mitten in einer belebten Einkaufs­straße spalten Politik und Bevölkerung. Ein offener Planungsprozess sollte helfen, die Emotionen zu glätten. Das Ende des Planfeststellungs­verfahrens naht und wir haben etwas Abstand gewonnen. Eine gute Zeit Bilanz zu ziehen.

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Die Stadt Bielefeld arbeitet seit einigen Jahren daran, ihr Stadtbahnnetz an verschiedenen Stellen zu erweitern und zu optimieren. Dazu gehört auch eine bessere Stadtbahnanbindung für die südlichen Stadtteile jenseits des Teutoburger Walds. Heute fährt dort die Linie 1 bis in den Stadtteil Senne und soll zukünftig für die rund 21.000 Einwohner von Sennestadt verlängert werden. Neben der etwa acht Kilometer langen Neubaustrecke geht es jedoch auch um den barrierefreien Umbau von Stadtbahnhaltestellen. Schwierigster Abschnitt ist die Brackweder Hauptstraße, eine historisch gewachsene, belebte Einkaufsstraße mit begrenztem Straßenquerschnitt und vielfältig aktiven Anspruchsgruppen.

Barrierefreiheit? Hochbahnsteige im öffentlichen Raum wecken die Emotionen

Zum Konzept der achtziger Jahre gehörte es, in dichten Stadträumen keine Bahnsteige vorzusehen und stattdessen die Treppenstufen am Fahrzeug auszufahren. Das ist heute gewohnter Bestand und eine städtebaulich durchaus immer noch vertretbare Haltung. Mit den heutigen Anforderungen an Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr ist dies jedoch nicht mehr vereinbar. So ging es um drei neue barrierefreie Hochbahnsteige mitten in einer beliebten Einkaufsstraße. Dieser erhebliche Umbau im öffentlichen Raum wird insbesondere von vielen Einzelhändlern als zerstörende Barriere für Ihre Kunden empfunden. Befürworter kämpfen hingegen im Grundsatz für eine neue zukunftsfähige Mobilität und eine verantwortlich abwägende Planung. Es gründen sich zwei konträre Bürgerinitiativen. In sozialen Medien und der Lokalpresse kochen die Emotionen hoch.

Planungsteam

In dieser Gemengelage wurden wir 2015 vom Verkehrsunternehmen moBiel beauftragt, den Planungsprozess sowie die Beteiligung der Akteure beratend zu begleiten. Vorhabenträger für den Umbau der Hauptstraße war das Amt für Verkehr der Stadt Bielefeld. Zunächst galt es ein interdisziplinäres Planungsteam zu etablieren, zu moderieren und zu koordinieren. Die städtische Abteilung Verkehrsplanung und die Grundsatz- und Netzplanung des Verkehrsunternehmens moBiel wurden ergänzt durch das örtlich gut verwurzelte Verkehrsplanungsbüro AD-Engineering und die Düsseldorfer Landschaftsarchitekten Scape. Mit insgesamt 17 Planerworkshops in rund drei Jahren haben wir den gemeinsamen Prozess strukturiert und konnten offenbar trotz einiger Berg- und Talfahrten eine neue Planungskultur prägen.

Systemfrage für die Stadt

Die erste Frage, die verbindlich zu entscheiden war: Bleibt es stadtweit beim Hochflursystem, bekommt Bielefeld eine neue Niederflurlinie oder gar ein völlig neues System mit Elektrobussen. Die wilde und teilweise recht unsachliche Diskussion auf allen Kanälen hat die grundlegende politische Entscheidungsfindung stark geprägt. Eine Machbarkeitsstudie zur Stadtbahnverlängerung nach Sennestadt, die wir ebenfalls begleiten durften, hatte 2013 eine rund 23 km lange Niederflurlinie 5 zwischen den Stadtteilen Heepen und Sennestadt empfohlen. Es ging dabei wesentlich um die Stadträume. 2014 hatte sich der Rat der Stadt dazu entschieden, diese kontrovers diskutierte Stadtentwicklungsfrage von den Bürgern entscheiden zu lassen. Diese votierten dann knapp mehrheitlich gegen die neue Linie 5. Für die Fachleute, denen die städtebaulichen Konsequenzen klar waren, bedeutet dies einen deutlichen Rückschlag. Politik hatte sich um die Verantwortung gedrückt.

Fokus Politikbeteiligung

Die Situation war in Folge der Ratsentscheidung im Stadtbezirk Brackwede festgefahren. Statt weiterhin unspezifisch breite öffentliche Debatten zu führen, empfahlen wir der Verwaltung eine konsequente Versachlichung der Kommunikation. Es ging um umfangreiche und laienverständlich grafisch aufbereitete Fakten und um Planungsprozessvermittlung.

Systemfrage 1901

Nüchterne Analyse hilft: Den Kern der öffentlichen Diskussion bildeten Bezirkspolitiker und organisierte Gruppen der Zivilgesellschaft wie die Werbegemeinschaft der Einzelhändler oder die Bürgerinitiativen. Hier wird Meinung gemacht. Die Kommunikationskanäle sind Lokalpresse und soziale Medien. Von einschlägigen Bürgerversammlungen haben wir konsequent abgeraten und stattdessen schrittweise Formate für den direkten Dialog mit der Politik und organisierten Bürgergruppen etabliert.

Bewährungsprobe Standortfrage

Nach der verlorenen Chance für die Niederflurlinie galt es nun eine verantwortbare Lösung für Hochbahnsteige zu finden. „70 Meter lang, so hoch wie ein Tisch mit zwei 15 Meter langen Rampen und einem alles verdunkelnden Bahnsteigdach“: Bürgerinitiative und Bezirkspolitiker zogen in den Kampf gegen den Drachen, der ihre Heimat zerstören will. Zur Versachlichung gehörte es, die Standortfrage als eine gesamtstädtische Infrastrukturentscheidung bewusst zu machen. Die lokale Bezirkspolitik galt es umfangreich in den Planungsprozess zur Gestaltung vor Ort einzubinden.

Standortfrage Verfahren 1901

Fünf Standortvarianten für die zentrale Haltestelle mit der wichtigen Busverknüpfungsfunktion sind nach insgesamt zwanzig Kriterien in vier Kategorien mit den Politikern diskutiert und bewertet worden. Die Verwaltung hat in der späteren Beschlussvorlage nur die Ergebnisse des Prozesses aufbereitet und keine Position für einen Standort bezogen. Diese empfohlene Haltung war auch Kern der parallelen Pressearbeit. Der Stadtentwicklungsausschuss konnte so eine fachlich fundierte, gesamtstädtische Sachentscheidung treffen – gegen das politische Votum der Bezirksvertretung übrigens.

Öffentlichkeitsbeteiligung und Planfeststellungsverfahren

Mit Beschluss der Planung im Stadtentwicklungsausschusses war der Weg frei für das Planfeststellungsverfahren, das im Sommer 2017 eingeleitet wurde. Zur Verfahrensvorbereitung gehörte eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, die die Verwaltung im März 2017 durchführte. Dieser Schritt wurde mit Spannung erwartet, befürchtete man doch eine erneute Eskalation der kontroversen öffentlichen Debatte. Für die geplante Veranstaltung haben wir daher empfohlen, beiden lokalen Bürgerinitiativen einen Thementisch anzubieten, an dem sie den interessierten Bürgern ihre Positionen vermitteln konnten. Stellwände und ein Moderator wurden gestellt, sonst war alles frei gestaltbar. Die Planung selbst bildete einen gleichwertigen Thementisch und wurde ergänzt um eine frühzeitige Sachinformation zu verschiedenen Verfahrensfragen (Kommunalabgabengesetz, Planfeststellung). Hier galt es Befürchtungen der Anrainer frühzeitig aufzunehmen. Diese Art der Offenheit brachte einen positiven und konstruktiven Abend, mit dem es gelang, viel neues Vertrauen und Glaubwürdigkeit im Prozess zu gewinnen.

Gestaltung der Hauptstraße

Parallel zum Planfeststellungsverfahren galt es nun ab Herbst 2017 die Gestaltungsdetails zu klären. Die planerische Lösung stand bereits und sah im Kern einen neuen Hochbahnsteigtyp für Bielefeld vor. Der städtebaulich besonders verträgliche Sondertyp sollte erstmals in der Hauptstraße zum Einsatz kommen. In vier Planerworkshops, drei Sitzungen der Bezirksvertretung und einer AG-Verkehr mit der Politik wurden 2018 die wesentlichen Gestaltungsparameter zum Umbau der Hauptstraße erarbeitet und in einem Projektprogramm festgeschrieben.

Ausschnitt Material- und Ausstattungskatalog_Scape

Wichtig war es, stets die Chancen für eine positive Veränderung der städtebaulichen Gesamtsituation zu thematisieren und identifizierte Defizite im Stadtraum zu beheben. Dazu gehörte die Verlegung des Radverkehrs vom Gehweg in Schutzstreifen auf die Straße, die Zuordnung der Stellplatzzonen zum Seitenbereich und deren Gestaltung als Multifunktionsflächen sowie die reduzierte Materialität und die Verbesserung der Baumstandorte.

Pressearbeit

Die Lokalpresse hat den Prozess über die Jahre sehr aufmerksam verfolgt. Bürgerinitiativen, Werbegemeinschaft und einzelne Politiker haben die zwei örtlichen Zeitungen stets aktiv genutzt. Stadtverwaltung und Verkehrsunternehmen hingegen beschränkten sich auf allgemeine Mitteilungen der Pressestellen. Mehr reaktiv getrieben als aktiv gestaltend.  Das musste sich ändern, wenn eine sachliche und verständliche Vermittlung der Planung in einem transparenten Prozess gelingen sollte. Mit einfachen fachbezogenen Pressemitteilungen aus dem Planerteam zu den Sitzungen der Bezirksvertretung und einigen Grafiken als Service haben wir begonnen. Regelmäßige Pressegespräche auch „unter drei“ dienten dem Aufbau von Vertrauen und dem Vermitteln komplexer Hintergründe. Es ist über systematische Pressearbeit direkt aus dem Planungsteam erfolgreich gelungen die Sachinhalte der Planung in der Öffentlichkeit gut zu vermitteln. Dabei waren gute Journalisten ein spürbarer Erfolgsfaktor. Sie haben uns Planern im Dialog auch die dringenden Fragen der Bürger vermittelt.

Fazit

Es ist vielen unmittelbar Beteiligten selbstkritisch bewusst geworden, dass die kommunalen Strukturen mit ihren eingeübten, nach Zuständigkeiten organisierten Arbeitsweisen Projekte dieser Art kaum bewältigen können. Es liegt nicht allein am fehlenden Personal für solche „Sonderprojekte“. Es fehlt vielmehr das verbreitete Bewusstsein für Planungsprozesse und für fachliche, analytische Methoden der Kommunikation. In der reinen Summe zuständiger Spezialisten gelingt ohne Hilfe von außen weder eine integrierte Situationsanalyse noch eine verbindliche Strategie zur Interaktion mit der Öffentlichkeit. So kam uns als beratendes Büro für den Prozess, aber auch den beauftragten Landschaftsarchitekten und Verkehrsplanern eine besondere Rolle zu, die sehr viel persönlichen Einsatz verlangte.

Die Planung wurde nicht linear nach Leistungsphasen abgewickelt, sondern folgte einem interaktiven Prozess im Rhythmus der Politikbeteiligung. Die Planer mussten programmorientiert denken, sich aufeinander aufbauenden Prüfaufgaben stellen sowie immer wieder laienverständliche Faktenvermittlung trainieren.

Am Ende ist es gelungen Kommunikationsstrategie und Planung so zu synchronisieren, dass wieder ein Stück Vertrauen in Planung entstanden ist. Wir danken allen Planungsbeteiligten, der lokalen Politik mit ihren kontroversen Positionen, den engagierten Bürgerinitiativen, vielen Einzelhändlern mit Ihren individuellen Anliegen sowie der insgesamt sehr professionellen Lokalpresse für die öffentliche Beobachtung unserer Arbeit.